Nordhausen
im Nationalsozialismus – Ein historischer Wegweiser

Ende 1938 schuf SS-Chef Heinrich Himmler mit dem sogenannten "Zigeunererlass" die formaljuristische Grundlage für die Deportation der Sinti und Roma. "Zigeuner" durften seit Oktober 1939 ihren Wohnort nicht verlassen und sollten "bis zu ihrem endgültigen Abtransport" in Sammellagern konzentriert werden.

Am 10. März 1939 berichtete der Nordhäuser Allgemeine Anzeiger von der geplanten Errichtung einer "Baracke für die Zigeuner" am Holungsbügel. In diese Zwangsunterkunft am äußersten Stadtrand sollten 73 Sinti und Roma abgeschoben werden, die zu diesem Zeitpunkt in Nordhausen lebten. Die Sammelunterkunft, in der die Familien auf engstem Raum leben mussten, war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben. Die Stadt ließ die Bewohner bei der Straßenreinigung, in der Grünpflege und in einer Ziegelei arbeiten.

Auch der 1926 geborene Sinto Jakob Gerste arbeitete in einer Ziegelfabrik. Er hatte mit seinen fünf Geschwistern und den Eltern seit Anfang der 1930er Jahre in Nordhausen gelebt. 1940 deportierten die Nationalsozialisten seinen Vater über das KZ Buchenwald nach Neuengamme und die Mutter in das KZ Ravensbrück. Drei Jahre später verschleppte die Gestapo Jakob Gerste und seine Geschwister in das "Zigeunerlager" des KZ Auschwitz. Dort ermordete die SS seine jüngeren Brüder Hermann, Rudolf und Heinrich. Jakob Gerste musste in Auschwitz als Maurer arbeiten. Im Mai 1944 überstellte ihn die SS über das KZ Buchenwald in das Lager Dora bei Nordhausen. Hier musste er in Sichtweite zu seinem Heimatort bis zur Räumung des Lagers in der unterirdischen Raketenproduktion arbeiten. Anfang April 1945 wurde Jakob Gerste auf einen Todesmarsch in das KZ Bergen-Belsen getrieben, wo er am 15. April 1945 durch britische Truppen befreit wurde. Jakob und seine Schwester Emma waren die einzigen Überlebenden der Familie Gerste. Ihre Mutter erlebte die Befreiung im KZ Ravensbrück, starb jedoch schon kurze Zeit später an den Folgen der KZ-Haft.


Bericht über die geplante Errichtung einer "Baracke für die Zigeuner", Nordhäuser Allgemeiner Anzeiger, 10. März 1939, Stadtarchiv Nordhausen. (Quelle: Stadtarchiv Nordhausen)