Nordhausen
im Nationalsozialismus – Ein historischer Wegweiser

Wie alle kommunalen Gesundheitsämter übernahm das Nordhäuser Gesundheitsamt in der Zeit des Nationalsozialismus eine Schlüsselfunktion bei der Umsetzung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das im Januar 1934 in Kraft trat. Das Gesetz erlaubte die Sterilisation ohne Einwilligung der Betroffenen und verpflichtete zugleich Ärzte, Fürsorger und Lehrer, vermeintliche Erbkrankheiten anzuzeigen. Vor allem der Hausarzt sollte zukünftig ein "Hüter am Erbstrom der Deutschen" sein.

Die in der Köllingstraße eingerichtete "Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege" erstellte "erbbiologische Karteien", in denen sämtliche Informationen zur sogenannten Erbgesundheit einer Person festgehalten wurden. Zahlreiche Behörden waren in die "erbbiologische Erfassung" der Bevölkerung eingebunden: Heiratswillige Paare mussten sich einer Eheberatung unterziehen und ihre Eignung zur Gründung einer Familie nachweisen. Ärztliche Untersuchungen in der Behörde, Hausbesuche durch Vertreter der Fürsorgeämter, Befragungen von Lehrern, Arbeitskollegen und Nachbarn lieferten weitere Informationen. Allein im Jahr 1935 machten die vier eingesetzten Fürsorgeschwestern rund 2000 Hausbesuche und verfassten ausführliche Berichte.

Die Behörde erstellte auf der Basis der gesammelten Daten Gutachten und beantragte damit beim sogenannten Erbgesundheitsgericht, das dem Amtsgericht angegliedert war, die Zwangssterilisation. Vor allem Fürsorgeempfänger, Langzeitarbeitslose, sogenannte "Asoziale" oder Behinderte mussten sich diesem gewaltsamen medizinischen Eingriff unterziehen. In der Zeit von 1934 bis 1943 wurden auf Antrag des Nordhäuser Gesundheitsamtes insgesamt 123 Personen zwangssterilisiert.
Nach 1945 beherbergte das Gebäude in der Köllingstraße weiterhin das staatliche Gesundheitsamt. Heute wird die Villa von Privatleuten bewohnt.